Hamstern, Depressionen Zukunftsängste – Psychologin Sandra Führ im Gespräch mit der SPD Goslar

Warum hamstern Menschen? Wie kommt es zu sogenannten „Verschwörungstheorien“? Wie beeinflusst die Corona-Krise das Verhalten der Menschen? Mit Sandra Führ haben wir uns über die Corona-Krise und unsere Gesellschaft unterhalten. Sie ist Psychologin an der Fontheim Klinik in Liebenburg und ab Januar 2021 mit eigener Praxis in der Untere Schildwache 1 in Goslar.

 

 

Frau Führ, hat sich Ihre Arbeit als Psychologin durch die Corona-Krise verändert?

 

Auch der psychotherapeutische Arbeitsalltag ist durch die sog. AHA(L)-Regel geprägt, der Kontakt zum Patienten hat sich verändert. Der Begrüßungshandschlag entfällt. Kontakte im ambulanten Bereich finden, angepasst an die jeweilige Situation, teilweise über digitale Medien statt, z.B. in Form von Videosprechstunden oder auch über Telefonate. Die Resonanz hierauf ist ganz unterschiedlich. Die meisten Patienten bevorzugen den realen Kontakt, sind aber froh, über diese Alternativen überhaupt Gesprächsmöglichkeiten zu haben. Gesprächstermine, welche aufgrund der Schwere der Symptomatik einen realen Kontakt unerlässlich machen, können unter Einsatz von beidseitigem Maskentragen und dem nötigen Mindestabstand mit nachgehendem Lüften erfolgen. Dieses ist teilweise nicht einfach, da der Blick auf die gesamte Mimik fehlt und gerade bei psychisch schwer kranken Menschen zu Ängsten und Unsicherheit führt, so dass hier in der Gesprächssituation ein hohes Maß an Sicherheit und Vertrauen geschaffen werden muss. Auch die Inhalte der Gespräche haben mitunter einen anderen Schwerpunkt. Durch die Corona-Krise leiden zum Beispiel viele Patienten unter real existenziellen Ängsten, wie dem Verlust des Arbeitsplatzes und damit einhergehenden Zukunftsängsten. Es gilt in diesen Fällen vor allem darum, Ressourcen herauszuarbeiten und Lösungsstrategien zur Bewältigung der aktuellen Probleme zu entwickeln.

 

 

Haben Sie infolge der Corona-Krise Veränderungen in Bezug auf psychische Krankheiten festgestellt?

 

Es ist nachgewiesen, dass es eine Zunahme an psychischen Problemen gibt, die durch die Corona-Krise bedingt sind. Insbesondere eine Zunahme von Depressionen, Schlafstörungen, aber auch Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung werden beschrieben. Hinzukommen verschieden Ängste, z.B. die Angst zu erkranken, Zukunftsängste. Das Gefühl einer unkontrollierbaren Bedrohung, der Mangel an sozialen Kontakten aber auch Änderungen der Arbeitsbedingungen führen zu Problemen. Viele Menschen kommen hierdurch an die Grenzen ihrer Belastbarkeit, z.B. die alleinerziehende Mutter, die im Homeoffice arbeiten und gleichzeitig die digitale Beschulung begleiten muss. Wie die Menschen mit dieser Situation umgehen, ist unter anderem abhängig von Resilienzfaktoren (Resilienz = psychische Widerstandskraft).  Menschen, die eine gute soziale Unterstützung haben, optimistischer sind und ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit besitzen, d. h. die Überzeugung haben, Dinge für sich positiv beeinflussen zu können, bewältigen Krisen leichter als solche, die von Natur aus eher besorgt sind und wenig Selbstvertrauen besitzen. Vor allem Menschen, die vorher bereits vulnerabel, also leichter psychisch verwundbar, waren, haben es aktuell sehr schwer. Aber es gibt auch Personen, die erst durch die derzeitigen Umstände psychisch erkranken.

 

Wie können denn Menschen herausfinden, dass sie vielleicht selbst von Depressionen betroffen sind?

 

Die typischen Hauptsymptome einer Depression sind eine niedergeschlagene Stimmung, Verlust von Freude und Interessenlosigkeit sowie ein verminderter Antrieb und rasche Erschöpfbarkeit. Weitere Symptome können Schlafstörungen, Appetitlosigkeit (oder Zunahme), Konzentrations- und Entscheidungsschwierigkeiten und ein geringes Selbstwertgefühl sein.

Eine Depression hat mitunter viele Gesichter und beginnt oft schleichend. Verschiedene körperliche Beschwerden wie unspezifische Kopf- oder Bauchschmerzen, sozialer Rückzug, zunehmende Gereiztheit können ebenfalls Warnzeichen sein. Ebenfalls können zum Beispiel starke Befürchtungen, ernsthaft erkrankt zu sein, vorkommen. Menschen, die diese Symptome bemerken (oder von Nahestehenden auf eine solche Veränderung aufmerksam gemacht werden), sollten sich nicht scheuen, rasch fachliche Hilfe zu suchen. Eine Depression kann gut behandelt werden und hat nichts mit eigenem Versagen oder persönlicher Schwäche zu tun, wie einige Betroffene zunächst oft befürchten.

 

Seit diesem Jahr ist auch ein Begriff sehr präsent: das Hamstern. Warum hamstern denn Menschen?

 

Das sogenannte Hamstern kann als Versuch verstanden werden, etwas gegen das Gefühl von Ohnmacht und Bedrohung zu unternehmen. Der Mensch hat ein angeborenes Kontrollbedürfnis. Der Kauf funktionaler Produkte und solcher, die Grundbedürfnisse stillen, ist assoziiert mit Sicherheit und Problemlösen. Insbesondere Menschen, die hoch emotional auf die Bedrohung durch Corona reagieren, neigen dazu, zu hamstern. Aber auch Menschen, welche weniger emotional auf die Corona-Krise reagieren, können plötzlich zum Hamstern neigen. So kann die Betrachtung von leeren Regalen auch bei den Menschen einen Kontrollverlust auslösen, die sich vorher kaum von Corona bedroht fühlten, nun aber, aufgrund der Angst vor Lieferengpässen, ebenfalls Hamsterkäufe tätigen.

 

 

In der Diskussion stehen auch die sogenannten „Verschwörungstheorien“. Warum orientieren sich einige so stark an diesen?

 

Der Mensch hat ein psychologisches Bedürfnis nach Sinn und Ordnung. Er möchte sich die Welt erklären und wissen: Was ist da los? Die Verschwörungstheorien geben Erklärungen für eine als unkontrollierbar empfundene Situation und schaffen so eine gewisse Beruhigung. Diese Verschwörungstheorien gab es auch schon immer, so etwa bei der Spanischen Grippe, für die z.B. andere Ethnien verantwortlich gemacht wurden. Die aktuelle Corona-Krise mit den damit einhergehenden Einschränkungen führt bei einigen Menschen zur Sorge vor einem Verlust von Freiheit und Selbstbestimmung. Die Verschwörungstheoretiker sind eine heterogene Gruppe, sie zieht sich durch alle sozialen Schichten und ist unabhängig vom Bildungsgrad. Sie manifestieren sich besonders bei Menschen mit einer hohen Tendenz zum Individualismus, die ihre Freiheit und Rechte bedroht sehen.

 

 

Wie gehe ich am besten mit jemandem um, der sehr fixiert ist auf Verschwörungen und sich zum Beispiel weigert, eine Maske zu tragen?

 

In der Regel sind die Verschwörungstheoretiker in ihrer Überzeugung so verfestigt, dass man nur versuchen kann, die andere Sichtweise zu akzeptieren und Diskussionen zu vermeiden, da kein Konsens gefunden werden kann. Die Grenze wird aber natürlich dort überschritten, wo wiederum die Rechte eines anderen verletzt werden. Ist dies der Fall, so kann man natürlich nett darauf hinweisen, dass die Pflicht besteht, eine Maske zu tragen.

 

Inwieweit hat der Lockdown Auswirkungen auf uns in Deutschland?

 

Seit vielen Jahren leben wir in einer demokratischen Gesellschaft mit maximaler ökonomischer Sicherheit, Wohlstand und hohen Freiheitsspielräumen bezüglich der eigenen Lebensgestaltung. Den Deutschen als kollektiver Charakterzug wird die sogenannte „German Angst“ nachgesagt. Typisch Deutsch, sagt man, ist die Furcht vor Verlust von Wohlstand und Sicherheit mit Auflösung bestehender politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse. Und die wird durch die aktuelle Zeit verstärkt. Begründet wird dies vor allem damit, dass durch zwei Weltkriege eine Traumatisierung stattgefunden hat, die auch über Generationen hinweg weitergegeben wurde und uns heute noch prägt.

 

 

Welche Tipps können Sie Menschen auf den Weg geben, um mit der Corona-Krise umzugehen?

Durch die Corona-Krise nehmen, neben psychischen Problemen, auch häusliche Konflikte zu. Wichtig ist es dann, Probleme anzusprechen und zu versuchen, sich auszusprechen. Aber auch sich selbst zu fragen: Was macht die Situation gerade mit mir, dass ich mich überfordert fühle? Auch Hilfe von außen, beispielsweise das Suchen sozialer Unterstützung, kann ihren Beitrag zur Besserung leisten. Sich ängstlich zu verkriechen, ist keine Alternative. Ein Überblick über aktuelle Informationen ist wichtig, aber permanent die Medien zu kontrollieren, ist nicht immer hilfreich, sondern kann über die Vielzahl der Berichterstattungen zu zunehmender Verunsicherung führen. Unsere Gesellschaft, unser Gesundheitssystem und unsere Politik haben den ersten Lockdown bewältigt, auf die erste Welle schnell reagiert und umsichtig gehandelt. Nun gilt es auch weiterhin, zu vertrauen und im Kleinen, also jeder für sich, die Regeln zu beachten, Rücksicht aufeinander zu nehmen und die zu unterstützen, die Hilfe benötigen. Soziale Kontakte können in dieser besonderen Zeit auch durch soziale Medien aufrechterhalten werden, etwa durch Videotelefonie oder ganz normale Telefonate. Helfen können auch sogenannte euthyme Aktivitäten, also Tätigkeiten, die einem selbst gut tun. Diese gilt es manchmal erst wieder neu zu entdecken, da manche Menschen sich in einem stressigen Alltag selbst vergessen haben. Sich auf das Wesentliche zu besinnen und zu versuchen, sich in einer gewissen Demut zu üben. Uns geht es in dieser Pandemie, verglichen mit anderen, ärmeren Ländern, immer noch in allen Aspekten gut. Ich möchte hier persönlich belastende Situationen, wie zum Beispiel existenzielle Sorgen nicht kleinreden. Die, die noch arbeiten dürfen oder können, sollten versuchen, nicht über die aktuelle Situation zu schimpfen, sondern sich dieses Privilegs durchaus bewusst sein. Hier gilt es natürlich, insbesondere auch das Engagement der vielen überlasteten Pflegekräfte besonders wertzuschätzen.

 

 

Was würden Sie in der jetzigen Situation außerdem gerne vermitteln wollen?

 

Nach wie vor gehören wir alle zu einem großen Ganzen, welches nur durch ein gemeinsames Zusammenhalten funktionieren kann und dessen Weiterbestand gewährleistet. Jeder kann im Kleinen dazu beitragen, dass es unserer Gesellschaft gut geht. Sich zu infizieren, kann jeden treffen, auch die jüngere Generation, in der auch über schwere Verläufe berichtet wird. Sich in scheinbarer Sicherheit zu wiegen, ist der falsche Ansatz. Uns geht es gut, weil durch die älteren Generationen unser Wohlstand und unsere Gesellschaft aufgebaut wurden. Wir sollten Rücksicht nehmen, vorsichtig und umsichtig sein, und unser Zusammenleben zu schätzen wissen.

 

 

Kontakt:

 

Klinik Dr. Fontheim Zentral 05346 810

Sandra Führ ab Januar 2021 in eigener Praxis zu erreichen unter der Telefonnummer 0151 403701 57

Telefonseelsorge 0800 1110111 oder 0800 1110222

Psychotherapeuten oder Fachärzte 0800 116117 oder auf der Internetseite der KV Braunschweig per Suche.